Die Anmelderin unserer 5-stündigen Kundgebung am 8. März 2021 vor dem Innensenat erhielt letztes Jahr einen Strafbefehl über 40 Tagessätze, weil sie an jenem Tag die Versammlungsauflagen nicht rechtzeitig verkündete und weil sie nicht ausreichend dafür Sorge trug, die Plastiktüten über dem Mikrofon häufig zu wechseln. Eine anwesende Polizistin hatte sie angezeigt. Da wir den absurden und völlig überzogenen Strafbefehl nicht wortlos akzeptierten, kam es gestern im Bremer Amtsgericht zur Verhandlung. In und außerhalb des Gerichtssaals zeigten wir gemeinsam, dass ein Angriff gegen eine von uns ein Angriff gegen uns alle ist. Ein Angriff gegen unsere Organisierung und unsere gemeinsamen Kämpfe für Aufenthaltspapiere in Bremen. Bis zu 100 Personen standen zeitweise im Regen mit uns zusammen. Nach drei Stunden kam das Ergebnis: kein Freispruch. Das Urteil: “30 Tagessätze a 30 Euro auf Bewährung. Auflage: 250 Euro Spende an eine refugee Organisation”. Der Vorwurf hinsichtlich des Plastiktütenwechsels wurde fallengelassen. Wir dokumentieren unseren Redebeitrag.
Wir haben uns auch deshalb entschieden mit dieser heutigen Prozessbegleitung an die Öffentlichkeit zu gehen, weil die Kriminalisierung unserer Anmelderin vom 8. März nicht der einzige Fall des Angriffs auf unsere Versammlungsfreiheit ist.
Nicht der einzige Fall, bei dem durch kleinkariertes Verwaltungshandeln und pseudo-bürokratische Spielchen versucht wurde, den Widerstand derer zu behindern, die sich in Together we are Bremen organisieren.
1. Kapitel: Vom Social distancing zu den Kämpfen für Geburtsurkunden
Wie ihr wisst hat Together we are Bremen als eine der wenigen Gruppen während der Corona-Lockdown-Phasen ihre Aktivitäten nicht verringert, sondern musste sie dramatisch erhöhen.
Da viele unserer Mitglieder in den Lagern leben, waren sie unmittelbar von der doppelzüngigen Infektionsschutz-Politik betroffen.
Der Ruf nach Schutz und Abstand, dem social distancing, verhallte genau dort, wo Menschen in besonders vulnerablen Situationen waren und sind. Statt sofort den Menschen Schutzräume in Einzelzimmern zu gewährleisten, wurde Flatterband um den Spielplatz gebunden und anderes Absurdes veranstaltet.
Wer hat sich je dafür interessiert, dass viele oft wochenlang in Quarantäne eingesperrt wurden, weil immer wieder eine andere Person vom selben Flur positiv getestet wurde?
So begann die Shut down Lindenstraße Kampagne.
Die Bewegung wuchs, sie wurde stärker und im Sommer 2020 hatten sich längst die Frauen aus der Lindenstraße, der Friedrich Rauers Straße und der Alfred Faust Straße organisiert.
Gemeinsam begannen sie ihre Wut vor dem Bremer Standesamt sichtbar zu machen. Die Wut und die Verzweiflung darüber, warum sie überhaupt so lange in den Lagern festhingen.
Längst war da klar, dass das Problem der nicht ausgestellten Geburtsurkunden kein persönliches, sondern ein strukturelles Problem war.
Warum werden schwarze Mütter nur weil sie aus Nigeria oder Ghana kommen pauschal als Lügnerinnen behandelt? Warum wird ihnen unterstellt, sie wären zu alt um ein Kind zu bekommen um dabei noch nicht verheiratet zu sein? Warum wird in ihrer Privatssphäre herumgestochert? Warum wird ihren Kindern, die genauso deutsch sind wie andere, zT bis zu 2 Jahren die Geburtsurkunde verweigert?
Es ist sicherlich kein Zufall, dass genau an dem Ort, wo die Betroffenen selbst den so offensichtlichen strukturellen Rassismus aufzeigten die Verwaltungsbeamten begannen ihre Geschütze aufzuziehen. So geschehen bei der Strafsache „Plastiktüte“, wegen der wir heute vor dem Gericht stehen.
So geschehen bei den folgenden Protesten:
2. Kapitel: Migrationsamt – Legalize now
Zwei Wochen nach jener folgenreichen Kundgebung vor dem Innensenat waren wir schon wieder auf der Straße. Diesmal vor dem Migrationsamt. Hier versuchten wir erneut die Verschränkungen im Abwehrhandeln jener Behörden zu verdeutlichen.
Wir forderten: Legalize now! Papiere für alle. Der Moderator der Kundgebung fasste es zusammen:
“What you are preaching, what you write in your constitution, in your papers, are all different from what you are doing. From the way you are treating us. You don’t treat us equally. / Was Ihr predigt, was Ihr in Eurer Verfassung, Euren Gesetzen schreibt, deckt sich nicht mit dem, was Ihr tut. Mit dem, wie Ihr uns behandelt. Ihr behandelt uns nicht gleichberechtigt.”
Unserem Moderator, der formal Versammlungsleiter jener Kundgebung war, wurde kurz nach dem Protest in typischer Einschüchterungsmanier ein Brief vom LKA, Abteilung „Politisch motivierte Kriminalität Rechts-/Links-/Ausländerextremismus“ persönlich zugestellt.
Es sei ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Vorwurf: unzureichendes Abstandhalten.
3. Kapitel: Vor dem Standesamt
Als wir schließlich im Juni nach zähen und zu nichts führenden Verhandlungen wieder zum Standesamt mobilisierten, versuchte das Ordnungsamt bereits im Vorfeld den Protest zu unterbinden. Hochzeiten, so lernten wir nun, dürften keinesfalls durch Demonstrationen gestört werden.
Und generell seien unsere Kundgebungen viel zu laut. Nach mehrmaliger Verschiebung setzten wir schließlich unseren geplanten Protest durch, allerdings standen dann die Cops demonstrativ die ganze Zeit mit dem Lautstärkemesser vor der Lautsprecher-Box.
4. Kapitel: am Schüsselkorb/SPD-Zentrale
Wiederum einen Monat später, im Juli 2021 mobilisierten wir vor die Parteizentrale der SPD am Schüsselkorb.
Hier wurde das gemeinsame Spielchen von Ordnungsamt und Polizei ad absurdum geführt. In einem pseudo Kooperationsgespräch wurde der Anmelderin versichert, man könne wenn der Platz auf dem Gehweg gegenüber nicht ausreiche, selbstverständlich einen Streifen der Fahrbahn benutzen.
Als genau das der Fall war, also zu viele Menschen auf dem Gehweg sich drängten, den Abstand dabei natürlich nicht einhalten konnten und zudem große geparkte Fahrzeuge die Sicht auf die Transpis versperrten, verwiesen die anwesenden Polizeibeamten auf die Auflage des Ordnungsamts: Versammlungsfläche sei ausschließlich der Gehweg.
Einer Aktivistin wurde dann vorgeworfen, sie würde die anderen Anwesenden aufwiegeln, obwohl einfach alle auf die Straße auswichen, da es ja völlig absurd war hinter parkenden Transportern versteckt eine Kundgebung zu machen. Die Polizeibeamten begannen schließlich die Protestierenden massiv einzuschüchtern. Man würde von allen Anwesenden Ausweispapiere kontrollieren usw usf und natürlich müsse die Anmelderin nun mit einer Strafanzeige wegen Eingriffs in den Verkehr rechnen.
Nach langem und nervigen Hin und Her gelang es uns eine Spontandemo durchzusetzen. Auch hier behaupteten die Polizeibeamten zunächst, dass diese ja vom Ordnungsamt genehmigt werden müsste. Wir beharrten jedoch auf unser Recht und zogen schließlich auf der Straße über die Domsheide zum Marktplatz. Der Polizeibeamte wiederum beharrte auf seine Handlungsmacht und kurz danach erreichte der nächste LKA-Brief das nunmehr dritte Mitglied von Together we are Bremen: Hier der Verdachtsfall: Abweichung von den Auflagen.
Beide Ermittlungsverfahren wurden übrigens relativ kurze Zeit danach eingestellt.
Together we are Bremen hat nicht aufgehört auf die Straße zu gehen.
Zur Zeit demonstrieren wir jeden zweiten Donnerstag vor der Sozialbehörde und fordern die Transfers zu stoppen.
Kriminell sind nicht die, die sich organisieren, die für einen sicheren Wohnort und für ihre Zukunft kämpfen, nachdem sie schon so viel riskiert und verloren haben.
Kriminell sind nicht die, die für Teilhabe, Bewegungsfreiheit, gegen jede Unterdrückung und für ein sicheres Leben für alle aktiv sind.
Kriminell sind die, die an den Grenzen töten und sterben lassen.
Kriminell sind die, die sich hinter Verfügungen und vermeintlichen Ordnungen verschanzen und menschenfeindliche Verwaltungen und Systeme nicht im Inneren bekämpfen.