„Die Lindenstraße ist kein Ort zum Leben“ – Suizidversuch eines Bewohners der LASt Lindenstraße

Vor einer Woche hat ein Bewohner der Massenunterkunft Lindenstraße versucht, sich das Leben zu nehmen. Er wurde im Krankenhaus intensivmedizinisch behandelt und hat glücklicherweise überlebt. Der Bremer Flüchtlingsrat steht kontinuierlich in unterstützendem Kontakt mit dem Betroffenen. Nun hat Milad G. [Name wurde aus Datenschutzgründen geändert] sich entschieden, seine Erfahrungen zu veröffentlichen und über die Beweggründe für seinen Schritt sowie die Situation in der Lindenstraße zu sprechen. Eine Person aus dem BIPoC Bündnis Bremen hat mit ihm ein Gespräch auf Farsi geführt und seine Worte übersetzt.

Interviewende: Mögen Sie mir erzählen, was Ihre Beweggründe waren für Ihren Suizidversuch vergangenen Freitag?

Milad: Vor ungefähr 4 bis 5 Jahren habe ich den Iran aus Gründen – wegen den Problemen, die ja den meisten bekannt sind, verlassen. Ich bin nach Österreich geflohen. In Österreich wurde mein Asylantrag zweimal abgelehnt. Meine Wohnung, mein Leben, alles haben sie mir wieder weggenommen. Danach war ich gezwungen wieder zu fliehen und bin in Deutschland gelandet. Seit zwei Monaten bin ich nun in Deutschland. Und von diesen zwei Monaten habe ich 6 Wochen in Quarantäne verbracht. Die Gründe – ich weiß nicht so recht. Sie [Verantwortliche in der LASt] sagten ich habe Corona, dann war ich im Krankenhaus, die meinten ich habe kein Corona. Und der psychische, seelische Druck, dem ich hier ausgesetzt bin und die Umstände in der Lindenstraße, die sich immer weiter zuspitzten, führten dazu, dass ich mir mein Leben nehmen wollte.

I: Ja. Können Sie mir ein wenig mehr über die Umstände erzählen, die zu Ihrer Entscheidung, sich zu suizidieren, beigetragen haben?

Milad: Ja gerne. Soll ich über die Umstände im Camp, oder die Umstände…?

I: Wie Sie möchten, was für Sie wichtig ist.

Milad: Die Umstände im Camp – also, mit Verlaub, wir sind hierher gekommen, weil wir hofften, dass es hier ein bisschen besser für uns sein könnte. Wir sind hergekommen, zum Camp, haben uns vorgestellt, in der Hoffnung, vom deutschen Staat Schutz zu bekommen. Doch hier fühle ich mich wie bestellt und nicht abgeholt. Und in dieser Quarantäne – da saß ich und dachte, Gott, ich bin gesund hierher gekommen ohne Corona. Ich habe sie um einen Transfer gebeten. Das haben sie nicht gemacht. Und dann haben sie mir gesagt, dass ich Corona habe. Ich wurde in der Zeit in vier Etappen getestet. Das erste Mal war der Test negativ, das zweite und dritte Mal auch, das vierte Mal hieß es, ich habe Covid-19. Ich und mein Mitbewohner. Dann haben sie mich in ein anderes Zimmer verlegtund gesagt, ich müsste 14 Tage in Quarantäne bleiben. Diese 14 Tage wurden nach und nach zu einem Monat. Einen Monat war ich in Quarantäne und die negativen Gedanken, die wurden immer stärker – was hat der deutsche Staat vor – die Polizei – so viel Polizei. In meinem ganzen Leben – so viel Polizei wie ich in der Lindenstraße gesehen habe, habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen. Die Polizei kam und ging, sie kamen in unsere Zimmer und taten als wären wir, ich weiß nicht, als wären wir die Mafia oder irgendwelche Verbrecher. So sind sie mit uns umgegangen. Ich hab sie gefragt, was ist los, sind wir etwa Diebe, dass so viel Polizei an meiner Tür klopft, nur um mir zu sagen, dass ich positiv getestet bin? Und dann hieß es, geh‘ von diesem Zimmer in das andere Zimmer, geh‘ vom oberen Zimmer ins untere, komm‘ vom unteren wieder ins obere. Solche Schwierigkeiten – es waren einfach zu viele. Und ihr habt 50, 60 Leute, die anscheinend Corona haben, die lasst ihr in Räumen mit nur einer Toilette, einem Bad und das wird nur einmal am Tag geputzt. Und mit diesem schrecklichen Essen, das meiner Ansicht nach keinerlei Vitamine hat. Ich glaub, das ist dieses Tiefkühlessen, das du mal kaufst, wenn du in Eile bist und schnell etwas runterwürgen musst. Nichts, kein ordentliches Essen, kein ordentliches Trinkwasser, Trinkwasser sollen wir uns aus der Toilette holen. Wieviel kann denn bitte eine Flasche Mineralwasser den Staat kosten? Dass der Staat zum Beispiel jeder asylsuchenden Person zwei Flaschen Wasser gibt. Also, ja, es war diese Situation mit dem Essen, diese Situation mit – da stellen sie einen Karton Orangensaft hin und dann füllen sie den Saftkarton zur Hälfte mit Wasser auf. Da mischen sie Joghurt zur Hälfte mit Wasser und sagen, das ist jetzt Dugh. Und na gut, schlechtes Essen kannst du mal eine Zeitlang aushalten. Aber schlechte Hygienebedingungen kannst du einfach nicht aushalten. Es geht einfach nicht. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind erkrankt und zwar an einer Krankheit, die lebensgefährlich sein könnte, ich meine, grad ist die gesamte Welt von Corona betroffen, nicht? Und du lebst mit 40 – 50 Menschen zusammen, alle mit unterschiedlichen Lebensformen, mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen, in einem Camp, auf einem Flur, alle in Quarantäne. Und du bist krank oder die sagen dir, du bist krank. Und du hast gleichzeitig keine Symptome. Und das alles setzt dich doch enorm unter Druck, nicht? Du stehst morgens auf, gehst ins Bad und stellst fest, das Bad ist absolut eklig aus, die Toilette sieht absolut eklig aus. Wissen Sie, die Menschen unterscheiden sich halt, jeder Mensch ist irgendwie anders sozialisiert, ist an andere Bedingungen gewöhnt. Ich selbst kann zum Beispiel, ich kann wirklich nicht das Bad, die Toilette benutzen, wenn die so eklig sind wie in der Lindenstraße. Ich habe einfach die ganze Zeit so viel psychischen Druck verspürt, dass ich, dass es dazu führte – und egal wie oft wir den Verantwortlichen des Camps sagten, bitte, verringert die Anzahl der Bewohner*innen im Camp. Doch anstatt die Anzahl von uns zu verringern, haben sie die Anzahl der Securities erhöht. Und dann fragten wir die Security, warum tragt ihr keine Masken? Die sagten uns, wozu denn, gibt es denn hier positiv getestete? Und wir sagten, ja wir sind alle positiv getestet. Die Security erwiderte daraufhin, nein, uns wurde gesagt, ihr seid alle negativ getestet. Ich habe dann selbst gesehen, wie die Security sich an dem Kaffee, der da für uns hingestellt wurde, bedient hat; an dem Saft und den Joghurts, den sie für uns hingestellt hatten, bedient hat. Und er hat sich überhaupt nicht darum geschert, dass es unter uns positiv getestete Menschen gibt, und dass er sich vielleicht anstecken könnte. Da begann ich doch schon Verdacht zu schöpfen. Und egal, wie oft wir denen etwas sagten, es ging bei denen zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Und dann, einmal am Tag kamen sie an die Zimmertür, klopften und prüften, ob wir Fieber haben, und wir hatten halt alle kein Fieber, unsere Körpertemperatur war immer bei 35 Grad. Die kamen einfach nur, um uns aus dem Schlaf zu reißen. Ja. Das alles reicht, dass einer, der seit fünf Jahren in Europa ist, zweimal abgelehnt wurde, diese ganzen Überforderungen, dass du alles Mögliche in einem anderen Land hast, eine Wohnung, ein Auto, ein Leben, und dann bist du plötzlich gezwungen zu fliehen, musst in ein neues Land kommen, dass man Deutschland nennt, das hochentwickelte Deutschland. Und wenn du dann in diesem Land solche Sachen siehst, dann denkst du wirklich, du bist in der absoluten Einöde gelandet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, dass das dieses hochentwickelte Deutschland sein soll! Und all das, diese Dinge, das reicht für jemanden, der nicht total tough ist, um sich das Leben nehmen zu wollen. Ja…Falls Sie noch andere Fragen haben, können Sie sie mir gerne stellen.

I: Ja…gern. Was sind Ihre Forderungen an die Stadt Bremen, an die Gesundheits- und Sozialbehörde?

Milad: Wissen Sie, was ich fordere ist, dass eine*r von ihnen kommt, eine Person und nur einen Tag in einem dieser Räume, die keine Zimmerdecke haben, in dieser derzeitigen Situation, eine Nacht verbringt. Nur das. Ich bin gespannt, ob sie diese Nacht hier aushält. Wissen Sie, sie sagen uns zum Beispiel, wir sollen Masken tragen. Aber wenn wir keine Zimmerdecken haben und die gleiche abgestandene Luft von einem Raum in den anderen zirkuliert, wozu sollen wir dann noch Masken tragen? Wozu sollen wir unsere Tür auflassen und lüften, wenn es überall eh die gleiche verbrauchte Luft ist? Die Zimmerdecken sind doch ohnehin komplett offen. Können Sie sich das vorstellen, wenn eine Person im Nebenzimmer einfach nur atmet, dann kann ich ihre Atemzüge hören. Und wenn die Person wirklich krank sein sollte, und noch nicht mal Corona, sondern irgendeine Krankheit – aber wenn du keine Privatsphäre hast, keine getrennten Toiletten, keine getrennten Zimmer, dann verbreitet sich die Krankheit halt. Wenn sie nur eine Kanne Tee dahinstellen und wir sehen, dass sich 60 Menschen an dieser Kanne bedienen. Jetzt lass uns sagen, 20 Menschen haben sich vorher die Hände gewaschen. Was ist mit den 40 anderen? Daher sag ich, wenn ihr Saft hinstellt, dann verteilt doch pro Zimmer eine Packung Saft. Oder jede Person kriegt eine Packung. Oder wenn ihr Tee hinstellt, dann gebt doch jedem Zimmer eine Kanne. Ich denke das ist doch nicht so schwierig zu organisieren, oder? Und dann, wenn die Verantwortlichen im Camp uns ernsthaft auf Corona testen wollen, dann sollen sie uns doch, wie mit allen anderen in der Stadt, sollen die uns doch an die offiziellen Orte bringen, an denen getestet wird; ins Krankenhaus, wo dann die positiv getesteten Personen für eine Woche im Krankenhaus bleiben können. Und wenn dann das Testergebnis vorliegt, dann können sie sich ja wieder unter andere Menschen begeben oder auch nicht. Aber nicht, dass 600 Menschen an einem Ort zusammengelegt werden, in Zimmern, die keine Zimmerdecken haben, mit 5 Bädern und 5 Toiletten und sagen, ihr müsst alle in Quarantäne. Und nach 14 Tagen wiederkommen und sagen, ihr habt kein Fieber, alles gut. Das geht doch so nicht. Außerdem, nur weil jemand kein Fieber hat, heißt es nicht, dass er kein Covid-19 hat. Zum Beispiel A. Der hatte kaum Fieber, wir haben die ganze Zeit zusammen verbracht. Und nun ist er seit 24 Tagen im Krankenhaus. Wie viel Antibiotika und ich weiß nicht was, er schon schlucken musste.

I: Ja. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, fordern Sie also, dass eine der Verantwortlichen für einen Tag in die Lindenstraße zieht und selbst die Situation vor Ort erlebt?

Milad: Ja, genau, dass sie auch nur einen Tag in einem dieser Zimmer verbringen und dann lass uns sehen, ob sie das ertragen, ob sie sich vorstellen könnten so zu leben. Wir sind auch Menschen. Ja, wir sind Asylsuchende. Und trotzdem sind wir Menschen. Wir sind Individuen. Und wie man in unserer Sprache sagt, wir haben bei euch um Asyl gebeten, damit ihr uns helfen könnt. Und nicht, damit ihr uns so quält. Ich glaube wirklich, dass es besser wäre, im Gefängnis zu sein als in der Lindenstraße. Meiner Meinung nach ist das Gefängnis besser als die Lindenstraße.

I: Wieso denken Sie, dass das Gefängnis besser wäre als die Lindenstraße?

Milad: Im Gefängnis, da weißt du wenigstens, dass du Gefangener bist. Nicht? Aber hier – zum Beispiel für einen Raucher. Für mich als Raucher, weiß ich in der Lindenstraße nicht, bin ich nun frei, bin ich nicht frei. Ich will rauchen gehen und muss die Security bitten, dass sie mir 5 Minuten gibt, damit ich rausgehen, eine Zigarette rauchen und wieder zurückzukehren kann. Wissen Sie, Sie selbst haben nicht in der Lindenstraße gewohnt, Sie können es sich gar nicht vorstellen. Aber für uns, nicht nur für mich, für alle, die da sind, Gott ist mein Zeuge, ist es unglaublich schwer zu ertragen. Dass sie dich ständig mit ablehnenden Augen anblicken. Und dann, die meisten von ihnen, die jetzt hier arbeiten, waren selbst mal Asylsuchende, alle seit 5, 6, manchmal 10 Jahren sind sie hier, haben irgendwie die Sprache gelernt und wurden irgendwie in diese Jobs gesteckt, bei der AWO, wurden zu Securities ausgebildet. Ich hab es denen selbst mal gesagt, habe gesagt, wir sind Asylsuchende, ihr seid doch selbst auch Asylsuchende gewesen. Aber dieser Umgang mit uns, der ist nicht in Ordnung. Ihr selbst wart auch mal an unserer Stelle. Aber leider, ja – dass sie sich mal ein wenig um die Qualifizierung der Mitarbeiter*innen kümmern, dass sie die Mitarbeiter*innen fortbilden, dass sie gucken, sind die überhaupt qualifiziert dafür, mit Geflüchteten zusammenzuarbeiten, sie angemessen zu behandeln. Weil, Sie wissen selbst, wir beide sind Iraner*innen nicht? Ein paar von den Bewohner*innen im Camp sind Afghaner*innen, ein paar sind Kurd*innen. Alle von ihnen haben unter schlimmen gesellschaftlichen Umständen gelebt. Zum Beispiel haben die Kurd*innen gegenüber den Iraner*innen – wegen der Erfahrung, die sie mit den Regierungen gemacht haben, nicht? Also zum Beispiel denkt jemand von mir, ich bin Iraner und der eine Kurde denkt vielleicht, ich habe für das iranische Regime gearbeitet und habe deren anti-kurdische Politik unterstützt. Nicht? Das sind Befürchtungen, die gibt es. Und die sind ja oft auch real, ich habe es ja selbst gesehen. Aber dann ist dieser eine Kurde, der ist dann verantwortlich für einen Bereich im Camp, ja? Und dann sage ich zum Beispiel, ich bin Iraner, ja? Und dann weigert er sich, mir bei meinen Problemen zu helfen. Oder er bearbeitet meine Sachen bewusst fehlerhaft. Weil ich Iraner bin und weil er einfach generell ein schlechtes Bild von Iraner*innen hat. Weil er sagt, die Iraner*innen haben dies gemacht, haben das gemacht, haben meine Landsleute gequält. Aber er bedenkt aber nicht, dass ich, der Iraner, der jetzt hier ist, der sein Land verlassen hat und hierher geflüchtet ist, dass ich selbst Probleme hatte mit dem iranischen Regime. Und wir Iraner*innen sind nicht per se schlecht. Es ist die iranische Regierung, die schlecht mit Kurd*innen umgeht. Wir haben doch nichts gemacht, wir sind einfach nur ganz normale Menschen. Nicht? Ich finde, da muss die Security besser ausgebildet werden, da muss besser ausgewählt werden, wer überhaupt geeignet ist für diesen Job. Ich habe diese Sachen wirklich gesehen, diese Dinge, von denen ich Ihnen erzähle, habe ich wirklich gesehen.

I: Ja. Das glaube ich Ihnen.

Milad: Ja. Ja, das sind nun Dinge, die mir spontan in den Kopf kamen.

I: Danke. Gibt es weitere Gedanken, Erfahrungen, die Sie gerne mit mir, mit uns teilen möchten?

Milad: Vielleicht so viel: Die Lindenstraße ist kein Ort zum Leben. Wirklich. Gerade in dieser Situation, ist es kein Ort, an dem ein Mensch leben könnte. Und wenn sie wirklich Menschen dort unterbringen wollen, dann müsste in jedem Zimmer nur eine Person untergebracht werden, auf jeden Fall in den kleineren Zimmern. In den größeren Zimmern könnten auch insgesamt zwei Personen untergebracht werden. Und für jedes Zimmer könnte man doch ein Bad einbauen. Und diese Zimmer ohne Zimmerdecken, da müsste eine Decke eingebaut werden. Und dann müssten mehr Badezimmer und Toiletten installiert werden und deutlich gemacht werden, dieses Bad und diese Toilette gehört nur zu diesem Zimmer. Oder dass die Leute in dem Zimmer jeweils einen Schlüssel zu dem Bad erhalten. Wenn sie es wenigstens so ausstatten würden, dann könnte man es auch grad noch so in der Lindenstraße ertragen. Ich meine, es ist einfach ein Prozess, den wir Asylsuchende halt durchlaufen müssen, bis wir zu einem Resultat gelangen. Und so ausgestattet, dann könnte man irgendwie noch drin leben. Das andere ist, dass die Verpflegung verbessert werden muss, also das ganze Verpflegungssystem, das ist einfach nicht in Ordnung, das ist wirklich fürchterlich. Vielleicht machen die das nach ihrem Geschmack, dass sie zum Beispiel Karottenkonserven mit Tomatenkonserven zusammenschmeißen und ein bisschen Tomatenmark dazu rühren und sagen, das ist das Essen von heute. Wirklich! Aber wirklich, das muss doch nicht so sein. Ich selbst bin 2015 nach Österreich gekommen, in jener Phase damals, wo in der Gesellschaft so viel los war. Und trotzdem war das Asylsystem dort so viel besser als in Deutschland. Also von der Unterbringung und Versorgung her gesehen. Wenigstens war es besser als in Bremen. Ich weiß nicht, vielleicht ist es in anderen Städten besser. Ich meine, Sie wissen es selber, die Aufnahmestellen haben jeweils ein*e Leiter*in und die bestimmen, wie etwas zu laufen hat. Es liegt in deren Hand. Und ich weiß nicht, was die Leitung der Lindenstraße mit uns vorhat. Ob es ihr nur darum geht, den Securities Jobs zu verschaffen. Wirklich, mittlerweile hat sie genauso viele Securities in der Lindenstraße angestellt, wie dort Fluchtsuchende wohnen. In jedem Flur hat sie eine Security-Person platziert. Vor jedem Brandmelder hat sie eine Security-Person platziert, in jedem Treppenhaus sitzt eine Security-Person. Und dafür erhalten sie Lohn. Und ich sage, anstatt solcher Taten, verbessert doch mal das ganze System, verringert die Anzahl der Securities, dann habt ihr auch mehr Geld für Verbesserungen. Sodass die Geflüchteten im Camp sich wohler fühlen können. Sodass die Geflüchteten sich wohler fühlen und es gar nicht mehr für nötig befinden, den Feueralarm auszulösen. Sodass die Geflüchteten es nicht mehr für nötig befinden, zu protestieren. Sodass die Geflüchteten sich wohler fühlen und es nicht mehr für nötig befinden, aus der Lindenstraße zu fliehen. Sodass die Geflüchteten sich wohler fühlen und es nicht mehr für nötig befinden, euch anzuklagen. So. So hat man einige der Probleme wenigstens einigermaßen gelöst. Ja soviel. Ich, also meiner Meinung nach – die sagen, dass die Chefin Annika [Name aus Datenschutzgründen geändert] ist, aber ich weiß nicht, ich finde die Annika passt nicht – sie ist ein netter Mensch, aber ich finde, mit ihrer Art passt sie mehr in einen Kindergarten. Dass sie dort die Chefin ist. Oder, dass sie in ihrer Wohnung Chefin ist. Aber in einem Camp mit 600 geflüchteten Personen, ich finde nicht, dass sie dafür qualifiziert ist. Meiner Meinung nach.

I: Ja. Vielen Dank für Ihre Worte Agha Milad.

Milad: Gerne. Ich danke Ihnen. Habe ich gut gesprochen, ist alles aufgenommen worden?

I: Ja. Sie haben sehr gut gesprochen und es ist ganz sicher aufgenommen worden. Mögen Sie vielleicht nochmal zum Ende unseres Interviews erzählen, was Ihre persönlichen Wünsche, Ihre Wünsche für Ihr eigenes Leben in Deutschland sind?

Milad: Wallah, ich möchte gerne in Deutschland leben, ich möchte gerne in Deutschland arbeiten. Genau so wie ich auch in Österreich gelebt habe, gearbeitet habe, eine Wohnung hatte, ein Auto hatte. Und, ich habe mich nie, wie man so schön sagt, ich habe mich nie, vor keinen Mühen gescheut. Und ich würde einfach gerne auch in diesem Land leben können, arbeiten können. Doch momentan bin ich wie ein Auto, das mitten auf der Autobahn seinen Geist aufgegeben hat. Und weder nach vorn kommt, noch zurück. Ich kann weder zurückkehren, noch kann ich vorwärtsgehen. Und ich habe Angst davor, dass mich plötzlich ein anderes Auto überfährt. Aber ich möchte einfach in Deutschland leben können, hier arbeiten können, Teil der Gesellschaft werden, ihre Sprache besser verstehen lernen. Ja. Das ist alles. Und ich hoffe auch, dass sich alle vom Rassismus lossagen. Weil, ich habe das alles gesehen. Wenn ich im Bus saß, in der Metro in Österreich. Wenn ich im Bus saß, habe ich bemerkt, dass mein Nachbar wegen mir aufgestanden ist und sich woanders hingesetzt hat. Und auch hier in Deutschland habe ich es gesehen. Es gibt einfach so viel Rassismus. Und ich meine, Rassismus gibt es überall auf der Welt, Rassist*innen gibt es überall. Aber ich wünsche mir einfach, dass sich diese Gesellschaft vom Rassismus lossagt.

I: Ich wünsche Ihnen aus ganzem Herzen, dass Sie zu Ihren Wünschen gelangen. Wir halten zusammen!

Milad: Ja. Das tun wir!

Wenn Sie Suizidgedanken haben, wenn es Ihnen nicht gut geht, bleiben Sie damit nicht allein. Suchen Sie sich Hilfe und Unterstützung bei Nahestehenden, im familären oder sozialen Umfeld oder wenden Sie sich an einen sozialpsychiatrischen Dienst oder eine Telefonhotline.