Halberstadt? Die wenigen Menschen, die diesen Ort im Westen Sachsen-Anhalts kennen, haben wahrscheinlich die Altstadt mit ihren pittoresk aufgereihten Fachwerkhäusern vor Augen. Oder die nahe gelegene “Burg Falkenstein”. Würde jemand an das große Flüchtlingslager bei Halberstadt denken? Wahrscheinlich nicht. Viele Mitglieder unserer Gruppe bekamen eine Aufforderung zur Umverteilung (= „Transfer“) genau dorthin. Einer, der dieser Aufforderung nach Halberstadt zu fahren gefolgt ist, sprach mit zwei anderen Aktivist*innen von Together we are Bremen über seine Erfahrungen.
„Transfer“ nach Halberstadt
L: Vor mehr als einem Jahr wurde ich mit einem Freund auf Transfer geschickt. Nach Halberstadt. Von der Zughaltestelle aus mussten wir laufen, wir hatten nur ein Bremen Ticket und das funktioniert dort nicht und wir hatten kein Geld, also mussten wir laufen. Sie gaben uns eine Wegbeschreibung und wir waren etwa 2 Stunden zu Fuß unterwegs. Als wir dort ankamen, gaben wir ihnen unsere Umverteilungspapiere und sie fragten nach unserem Alter. Ich nannte ihnen mein Alter. Und sie sagten mir, dass ich noch nicht umverteilt werden sollte, weil ich minderjährig war. Aber es waren nur noch 15 Tage bis zu meinem 18. Geburtstag. Also notierten sie unsere Namen, gaben uns etwas zu essen und baten uns zu warten. Es würde später jemand kommen und uns zum Lager für Minderjährige zu bringen, in der Nähe des Bahnhofs.
Von Anfang an haben wir diesen Leuten gesagt, dass uns der Ort nicht gefällt und wir zurück nach Bremen wollten. Es war schrecklich, da waren mehr als 500, 600, vielleicht 700 Leute. Sie können sich ja gar nicht um all diese Leute kümmern. Da waren sogar Kinder. Die Lebensbedingungen waren überhaupt nicht gut. Wir haben diesen Leuten gesagt, dass wir zurückkehren wollen, weil ihr uns damals ja auch gesagt habt, dass wir nicht umverteilt werden sollten, weil ich noch minderjährig war. Und diese Leute wissen schon, wenn wir Geld oder irgendeine eine Gelegenheit hätten, zurückzukehren, dann würden wir zurückkehren. Sie wollten auch unsere Fingerabdrücke nehmen, aber wir wussten, wenn sie unsere Fingerabdrücke nehmen, dann hätten wir keine Chance, zurückzukehren. Später am Tag brachten sie uns dann nach Falkenstein. Vielleicht kennst du Falkenstein? Es ist wie ein Touristenort. Vom Lager zur Stadt ist es sehr weit, weil das in den Bergen liegt. Man kommt da nur mit Bus weg, aber diese Busse können wir nicht benutzen, weil wir keine Papiere haben, und diese Busse sind für die Touristen bestimmt. Also bringen sie uns dorthin, nur damit wir unsere Zeit verschwenden.
In Halberstadt gab es viele Menschen aus Gambia, Nigeria, Syrien. In Falkenstein sahen wir nur drei Schwarze. Mein Freund, ich und ein anderer Junge. Also wussten wir, dass das eine Art Trick ist. Die Sache ist, dass du dort Essen hast, wann immer du willst, kannst du essen und essen. Weil sie dort ein Restaurant haben. Du kannst kostenlos Essen bestellen oder, wenn du kochen willst, kannst du ihnen sagen, was du dafür brauchst. Aber sie geben dir kein Geld. Weil sie wissen, wenn man Geld hat, hat man die Chance, dort weg zu kommen. Das ist also das Problem. Und der Ort ist nicht für uns bestimmt, er ist für Touristen. Dort kann man nicht mit der Gesellschaft kommunizieren.
Nach 15 Tagen bringen sie uns zurück ins große Lager, nach Halberstadt. Und dann hieß es, dass sie am Montag Fingerabdrücke nehmen würden. Und ich sagte meinem Freund, das ist die Chance, wenn wir an diesen Ort gehen, müssen wir gehen. Also, wenn Montag kommt, sagte ich meinem Freund, dass wir dann von diesem Fingerabdrücke-ort weglaufen müssen. Damals hatte ich einen Laptop aus meiner Zeit in Bremen. Also verkaufte ich diesen Laptop für 50 Euro. Mit diesem Geld konnten wir uns ein Ticket nach Magdeburg kaufen. Von dort aus halfen uns Leute, nach Bremen zurückzukehren.
Viele Faktoren sprechen gegen Umverteilungen
S: Es gibt viele Gründe, warum die Leute die Transfers verweigern. Einmal, die Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt sind, wenn sie an diese Orte gehen. Die Überstellung bedeutet in der Regel, dass man Asyl beantragen muss, was nicht gut ist, denn es könnte zu einer Abschiebung führen.
L: Sie setzen uns unter Druck, um Fingerabdrücke zu nehmen, weil sie wissen, dass wir es nicht tun wollen…..
S: Das Problem mit den Transfers ist, dass man in ein großes Lager geschickt wird, wo man meist keine Chance hat, zur Schule zu gehen. An den meisten dieser Orte ist die Integration in die Gesellschaft sehr schwierig, da es sich um sehr migrantenunfreundliche Städte handelt. Deshalb akzeptieren viele Menschen die Transfers nicht, und selbst diejenigen, die sich bereit erklären zu gehen, werden irgendwann wegen der Umstände und der Bedingungen an diesen Orten, die für sie unerträglich sein werden, zurückkommen. Es ist so. Für einige ist es also so, dass sie lieber hier bleiben und kämpfen, obwohl die Bedingungen keinesfalls sonderlich gut sind. Dennoch ist hier zu bleiben mit der Möglichkeit für seine Rechte zu kämpfen immer noch besser als auf Transfer zu gehen und in einer noch schwierigereren Situation zu landen.
K: Würdest du nach mehr als einem Jahr, also die Zeit, in der Du nun nicht mehr im System bist, weiterhin sagen, dass es immer noch besser als ein Transfer ist?
L: Ich weiß nicht, hm, Halberstadt, oh ja, alles ist besser als an diesem Ort! Wenn du ein gutes Leben willst, kannst du nicht in Halberstadt bleiben[1]. Es ist kein guter Ort, um einen guten Umgang mit Menschen zu haben. Es ist so weit von der Stadt entfernt, dass man immerzu gehen muss, gehen, gehen, gehen. Selbst von der Bushaltestelle aus ist es eine lange Strecke. Es ist wie ein Gefängnis, weißt du. Jemand sagte mir, dass der Ort von den Russen war, in den Kriegszeiten, dieser Ort ist wie ein Lager für die Russen. Wenn wir damals mehr Zeit dort verbracht hätten, würde ich vielleicht mehr darüber wissen.
Sie haben uns dort erzählt, dass die Polizei jeden Tag für 2 bis 3 Leute kam um sie abzuschieben. Besonders Montags und in der Nacht. Jemand hat mir gesagt, dass es dort sogar Menschen gibt, die dort registriert sind, aber nicht dort leben, sie laufen immer wieder weg, weißt du, sie laufen weiter und weiter, das ist nicht gut. Auf und ab zu rennen, nur wegen der Abschiebung.
Das Schwierigste in Bremen: nicht im System zu sein.
L: Nicht im System sein. Erstens, du hast keine Dokumente. Und hier, ohne Ausweisdokumente, das ist ein großes Problem. Du bist wie ein Verbrecher. Gestern, nachdem ich von dem Ort zurückfuhr, an dem wir das große Transparent gemalt hatten, wurde ich ohne Ticket im Bus erwischt. Dann riefen sie gleich die Polizei. Und das ist nicht gut für mich. Normalerweise, wenn du mal kein Ticket dabei hast, dann schreiben sie deine Daten auf und du musst dafür bezahlen. Aber in meinem Fall rufen sie die Polizei. Ich habe ihnen aber doch gesagt, dass ich keine Papiere habe. Aber sie glaubten mir nicht und riefen die Polizei und die durchsuchten dann alles. Das ist ziemlich ärgerlich, weißt du. Sie riefen später in diesem Büro an, keine Ahnung, und sie sahen mein Bild und sagten: Das ist nicht dein Alter, das ist dein wirkliches Alter. Und ich sagte ihnen, nein. Bremen behauptet, dies sei mein Lebensalter, aber das ist es nicht. Das ist mein richtiges Alter. Sie sagten mir, ich hätte keine Adresse, also gab ich ihnen meine Adresse. Und all das tun sie mit mir auf der Straße, und die Leute liefen vorbei und sahen das, wie sie mich wie einen Verbrecher behandeln. Schon im Bus sagten die Kontrolleure, ich müsse ihnen mein Telefon geben, damit ich nicht weglaufen könnte, und dann riefen sie die Polizei. Sie baten mich, meine Hände auf dieses Polizeiauto zu legen. Und dann durchsuchten sie alles. Es ist echt verrückt, weißt du!
K: Was glaubst du, wonach die suchen?
L: Sie suchen vielleicht nach Dokumenten. Vielleicht sind sie aber auch auf der Suche nach etwas anderem. Ich weiß es nicht. Das ist auch ein bisschen…. Ich wollte mich darüber beschweren, etwas tun. Aber dann beschloss ich, es sein zu lassen, weil ich ja gar keine Wahl habe. So ist es für Schwarze Menschen. Ich kann es nicht ändern. Vielleicht könnte ich tun, wonach mir ist. Aber das wird nichts daran ändern. Also muss ich damit klarkommen.
K: Das ist dir also schon oft passiert?
L: Ziemlich oft. Deshalb benutze ich so ungern diese Straßenbahnen, ich bevorzuge das Fahrrad. Aber selbst wenn ich ein Ticket habe, will ich nicht in diese Straßenbahnen steigen und diese Leute sehen. Es gefällt ihnen ganz offensichtlich, wenn sie sehen, dass ein Schwarzer kein Ticket hat. Sie sind stolz, nur weil du Schwarz bist. Es ist abgefuckt. Dem sind wir ausgesetzt. Die Menschen haben diese Mentalität immer noch. Wie, er ist ein Schwarzer, sie ist eine Schwarze, man muss ihn so behandeln. Das ist nicht fair. Wenn du in Afrika wärst, müsstest du vielleicht mal zur Polizei gehen, weil es ein Problem gibt, sie würden dich aber wie einen Gast behandeln. Nicht das Gegenteil. Nicht wie hier. Das ist wirklich verrückt. Ohne Papiere kann man nichts tun. Viele von uns spielen gerne Fußball, aber in eine Fußballmannschaft zu gehen, ohne Papiere, das geht nicht. Du kannst trainieren, aber nicht Teil des Teams werden.
S: Wenn du nicht im System bist, ist es, als würden sie dich zu etwas zwingen, das du nicht sein willst. Ein Krimineller zu sein. Weil du kein Geld hast, kannst du dir kein Ticket kaufen, aber du musst dich nun mal in der Stadt bewegen. Das ist ein Problem.
L: Sie treiben uns zu etwas, das wir nicht sind. Und wir wollen es nicht sein. Sie wollen, dass wir Kriminelle sind. Im Moment lebe ich ohne Papiere, das ist im Moment mein Zustand. Wenn ich also in irgendetwas hineingerate, werden sie später sagen: Das ist genau das Problem, deshalb wollten wir ihm keine Aufenthaltspapiere geben, aus genau diesem Grund. Später machen sie dich dafür verantwortlich und nutzen es gegen Dich.
S: Deshalb ist es ja so wichtig diese Menschen, die hier leben, zu unterstützen. Denn ganz ohne Geld ist es sehr schwierig.
L: Wenn du gar kein Geld hast, kannst du Drogen verkaufen. Wenn du wahnsinnig dringend Geld brauchst! Ich werde es nicht tun. Aber ich weiß, dass viele Leute es tun. Wenn du eben an kein Geld rankommst, wie du es richtig findest. Drogen zu verkaufen ist keine gute Sache. Sie verbrennen unsere Kinder.
S: Diese Gruppe rettet wirklich die Leute, die Schlafplätze, dieses kleine Geld, es ist nicht genug, aber es ist besser als nichts. Ohne das kann man nicht leben. Wenn du kein Geld hast, musst du schließlich irgend etwas tun, irgendwas. Du musst Wege finden, etwas Geld zu verdienen. Um zu überleben, weißt du, einfach um zu überleben. Die Gruppe ist also auch in diesem Sinne wichtig. Aber wir benötigen noch viel mehr Unterstützung um uns ins System zu kämpfen. Das ist das Wichtigste. Aber diese zeitliche Lösung ist immer noch besser als ein Transfer. Natürlich ist es zeitlich begrenzt, denn es kann nicht nachhaltig sein.
L: Ja klar, das ist zeitlich begrenzt. Das ist eine echtes Thema, weißt du. Wir wollen nicht von Together we are Bremen abhängig sein von. Wir wollen unser eigenes Ding machen. Wir wollen es selber tun. Wir sind nicht dumm oder beschränkt. Wir haben unsere Talente. Wenn wir die Chance haben, können wir es ihnen zeigen. Aber es gibt keine Chance. Sie geben uns nicht die Möglichkeit, solche Dinge zu tun. Aber du brauchst Papiere. Wir wollen uns nicht auf Menschen verlassen, die uns füttern. Das ist nicht unser Plan. Wir haben gute Träume, wir haben gute Ziele, wir wollen in Zukunft etwas anderes sein. Aber diese Leute wollen das nicht. Sie wollen, dass wir auf der Straße sind und Drogen verkaufen. Es ist verrückt, weißt du.
S: Die Unterbringung in solidarischen Wohnungen sollte zeitlich begrenzt sein. Irgendwann müssen wir in das System reinkommen.
L: Und ich weiß, dass auch ihr genug davon habt, das ganze Hin und Her, es ist fürchterlich stressig. Es sollte keine kontinuierliche Sache sein. Wenn Together we are Bremen für immer weiter geht, dann ist das keine gute Sache für uns.
K: Und glaubst Du denn, es wird einen Moment geben, in dem unsere Kämpfe nicht mehr notwendig sein werden?
S: Nein.
L: Es gibt viele Dinge, für die man kämpfen muss. Aber dieser eine, um ins System reinzukommen, ist im Moment der wichtigste. Dann wird dieser ganze Unsinn aufhören.
S: Es gibt bestimmte Kämpfe in dieser westlichen Gesellschaft, die sowieso nie enden werden.
L: Als Schwarze Person, die hier lebt, hast du so viele Dinge, gegen die du kämpfen musst. Erstmal ins Sozialsystem aufgenommen zu werden ist ja erst der Anfang. Es ist wie… es ist wie…
S: Du bist hier und du bist nicht hier. Aber wenn jeder in dieser Gruppe, diejenigen, die das alles angefangen haben, wenn die erst mal ein wenig ankommen könnten, ihre Papiere hätten…..
L: Wenn diese Jungs in unserer Gruppe, weißt du, sie haben Talente, sie können etwas einbringen, in der Zukunft…. aber weißt du, wann wird das aufhören, dass sie Menschen so behandeln, Westafrikaner… die Behandlung ist immer noch anders als bei anderen Menschen, mentale Sklaverei existiert noch immer. Du kannst das nicht aufhalten, denke ich, wir alle haben das im Kopf.
[1]Weitere Informationen über Halberstadt und andere Lager in Sachsen-Anhalt findet Ihr unter https://no-lager-halle.org