“Weil es hier bereits geschrieben steht, kann es nicht mehr zurückgenommen werden”

In den “Updates from Shut Down Lindenstraße / Aktuelle Entwicklungen während der Corona-Krise” erwähnten wir am 3.4.2020 unter anderem ein Hausverbot, das einem Bewohner des Lagers Lindenstraße am 2.4.2020, dem Tag des zweiten Protestes (auf dem Parkplatz vor dem Lager), erteilt wurde. In dem Hausverbot-Schreiben wirft die AWO dem Jungen vor, während des Protestes den Feueralarm ausgelöst zu haben und zur Strafe muss er das Lager sofort verlassen.

Ein anderer Bewohner der Lindenstraße kommentierte dies an jenem Tag so:

“Sie sind sicher aufgebracht und das sieht man sehr deutlich, aber ich bitte alle, die im Lager (Lindenstraße) wohnen, sich zu enthalten, obwohl es nicht leicht sein wird und sie versuchen werden, uns vielleicht zu beschuldigen, dass wir die 1,5m nicht respektieren (was nicht möglich ist, weil wir alle zusammen wohnen), den Alarm ausgelöst haben (weil sie keine andere Möglichkeit hatten, uns zu verfolgen) oder uns provozieren (weil wir uns vor dieser Krankheit schützen wollen und das ist unser gutes Recht)”

In der AWO-Stellungnahme, die am 20.4.2020 veröffentlicht wurde, wird dies nun als eine der vielen “Fake News” die Together we are Bremen verbreitet deklariert:

Behauptung: Mitarbeitende in der Landeserstaufnahme würden sich gegenüber den Bewohner*innen repressiv verhalten und sie “bestrafen” für ihre Teilnahmen an einer Protestaktion. Wahr ist: dass einem Bewohner durch die Behörde ein Hausverbot erteilt wurde, weil er ungerechtfertigt einen Feueralarm ausgelöst hatte. Wahr ist auch, dass Mitarbeitende mit der Gruppe der Bewohner*innen, die ihren Unmut über ihre Situation äußerten, das Gespräch gesucht haben und versucht haben, ihre Sicht der Dinge darlegen. Dabei wurde auch die Enttäuschung einzelner Mitarbeiter*innen darüber zum Ausdruck gebracht, dass einzelne Bewohner*innen in der Öffentlichkeit Unwahrheiten über sie verbreiten


https://www.awo-bremen.de/aktuelles/landeserstaufnahmeeinrichtung-der-lindenstrasse

Indem der Vorwurf auf diese Weise wiederholt wird und somit nicht nur der Angeklagte selbst, sondern auch mehreren Bewohnern und Zeugen der Geschehnisse unterstellt wird die Unwahrheit zu sagen, beschloss Lamin, der am 2.4.2020 das Hausverbot erhielt, nun auch öffentlich das Wort zu ergreifen und allen, die zuhören wollen, zu erzählen, was er an diesem Tag erlebt hat, als er aus der Lindenstraße hinausgeworfen wurde. Dies ist eine Transkription und Übersetzung seiner Worte (Version in Englisch ist hier).

L: Der Feueralarm, den sie mir an diesem Tag vorgeworfen haben, ich weiß nicht einmal, um welche Uhrzeit genau der war. Wir waren bei der Demonstration draußen, und danach ging ich zurück durchs Tor, wo die Securities sind, und wo unsere Kenn-Karte eingelesen wird. Einige nigerianische Frauen und einige der anderen Jungs vor mir wurden aufgefordert, ihre Karte abzugeben, aber sie sagten nein. Aber als ich dann an der Reihe war, wusste ich nicht, was los war. Sie sagten, meine Karte mache keinen Ton, also sagten sie, ich solle ihnen meine Karte geben, und ich gab sie ihnen. Sie nahmen sie und schrieben meinen Namen auf. Danach sagten die anderen drinnen zu mir, du hättest ihnen deine Karte nicht geben sollen, denn sie fragten auch uns alle und wir sagten nein. Also rieten sie mir, ins Büro zu gehen und zu fragen, was los ist. Ich bin ins Büro gegangen und habe es ihnen erklärt, und sie überprüften meine Karte in ihrem Computer und dann sagen sie, es gibt kein Problem. Deshalb denke ich, vielleicht gab es wirklich nur ein Problem mit der Karte beim Einlesen und ich ging in mein Zimmer, um zu schlafen.

Gegen 19.00 bis 20.00 Uhr an diesem Tag kamen sie mit diesem Papier zu mir und sagten, ich bekomme jetzt einen Transfer (Umverteilung). Und ich sagte, wie kann ich nach der Demonstration umverteilt werden, mein Anwalt hat mich gar nicht kontaktiert. Also sagte ich: “Können Sie mir bitte vorlesen, was dieses Papier auf Englisch bedeutet, ich verstehe es nicht. Nachdem sie es mir vorgelesen hat, verstehe ich, dass ich transfer bekomme, weil ich den Feueralarm berührt habe. Ich sagte, aber welcher der Feueralarme? Sie sagten: der zweite Feueralarm. Ich sagte, ich weiß nicht einmal, wann das war. Sie sagten, es gibt Leute, die dich gesehen haben und das wissen. Aber ich weiß nichts davon, weil ich draußen an dem Ort war, wo die Demonstration stattfand. Und dann sagten sie, jemand hätte mich kommen sehen. Sie sagten, das bedeute nicht, dass ich den Feueralarm berührt habe, sondern dass ich dort war, und sie sind sich nicht sicher, was sie sagen, aber es ist wegen meiner Hose. Sie sagen, jemand habe jemanden gesehen, der meine Hose trägt. In diesem Moment sehen wir mehr als 4 Personen um uns herum, die die gleiche Hose tragen, diese hier.

Frage: Die, die Du gerade anhast, eine schwarze Jogginghose mit einem weißen Streifen an den Seiten?

L: In diesem Moment sind viele Leute bei mir und sie sagen, lasst uns mit diesem Problem ins Büro gehen. Sie gehen ins Büro und dann kommen sie zurück und erklären es: Eine andere Person dort sagte, dass jemand mich gesehen hat, als der Feueralarm ausgelöst wurde, als ich den Feueralarm gedrückt habe. Ich sagte, ja, aber ich gar nicht drinnen, sondern draußen bei der Demonstration, und wir zeigten ihnen das Video mit mir und allen anderen bei der Demonstration. Jedenfalls sagen sie, dass ich jetzt transferiert werde, sie sagen, dass es ihnen wirklich leid tut, aber sie sagen, dass ich transferiert werden soll. Da es hier schon geschrieben steht, kann man es nicht leugnen.

F: Warte, in dieser Situation, als Du das Video erklärt und gezeigt hast, da glaubten Dir die AWO-Mitarbeiter tatsächlich?

L: Die Leiterin des Lagers, die mit dem Papier kam, hat das über die Hose gesagt, dass ich vielleicht zu der Zeit, als ich diese Hose trug, und da mehr als 4 Personen die gleiche Hose tragen, also, nur die Hose kann nicht ausreichen, um zu sagen, dass ich derjenige bin…

F: Also hatte selbst sie in diesem Moment Zweifel?

L: Ja, genau.

F: Also wer hat dann dieses Hausverbot-Papier gemacht?

L: Sie ist diejenige, die mir das Papier gibt. Aber sie sagte auch, dass sie hinuntergeht und diese Leute fragt, die sagen, wer derjenige ist bzw dass ich derjenige bin, der den Alarm berührt hat.

F: Aber wer behauptet eigentlich, dass Du das warst?

L: Das weiss ich nie. Ich sagte ihnen, bitte lassen Sie es mich wissen. Vielleicht können sie mich dieser Person zur Bestätigung vorführen, denn Menschen können einen Fehler machen.

F: Um Dein Gesicht dieser Person zur Bestätigung zu zeigen?

L: Ja, um zu bestätigen. Denn diese Anschuldigung ist nicht sicher. Aber viele Leute dort sagen, dies sei wegen der Demonstration, dass sie anfangen, diese Art von Situation für die Menschen zu machen.

Demonstration auf dem Parkplatz vor der Lindenstraße am 2.4.2020

Und meine Freunde sagen, wir können das nicht zulassen, dass sie mir das antun, wir stehen alle zusammen. Denn diese Anschuldigung ist nicht sicher. Also sage ich, lasst sie mit mir gehen, um dies zu klären. Um mein Gesicht dieser Person zu zeigen, die sagt, dass ich es bin, um zu klären, wo und wann sie mich gesehen hat. Aber sie sagen, es sei nicht möglich, mich zu dieser Person zu bringen, weil ich diese Person bekämpfen könnte. Aber ich sage, ich werde das nie tun, ich kämpfe nicht. Ich will das nur klarstellen. Viele Leute sitzen dort mit mir und hören, was gesagt wurde, dass das Hausverbot nicht zurückgenommen werden kann. Meine Freunde sagen, wenn sie mich jetzt rauswerfen, werden sie auch kommen. Also rufen sie die Polizei, die Polizei kommt.

Als die Polizei schon da war, sagte eine der AWO-Mitarbeiterinnen zu mir: Ich bin normalerweise nicht der Typ Mensch, der so redet. Ich fühle es sogar, wenn ich so mit Dir spreche, aber in diesem Moment, als ich mit Dir sprach, da war ich sehr verärgert wegen Euch, wegen dem, was Ihr da tut.

Denn früher an diesem Tag, nach der Demonstration, als ich im Büro war, um herauszufinden, warum die Securities meinen Namen aufschrieben, da war diese AWO-Mitarbeiterin mit dabei, als ich in dem anderen Büro vorsprach. Diese Frau war sehr verärgert über mich, sie sprach mit mir auf eine Weise, die für mich wirklich rassistisch war.

F: Was genau ist dort passiert, nachdem Du von der Demonstration zurückgekommen bist?

L: Als ich ins Büro kam, traf ich sie dort, und sie fing an, Dinge zu sagen wie: Ihr Leute hier, ihr Leute dort, ihr macht so etwas… Als People of Color, für sie gibt es Weiße, für mich, ich bin eine Schwarze Person. Wenn ich zu ihr komme und sie wegen einem Problem frage, auch wenn sie mir in keiner Weise helfen kann, kann sie ja vielleicht sagen, dass es ihr leid tut, oder, sie keine Zeit hat, sie gerade dies oder das tu, hiermit oder damit beschäftigt ist. Aber sie ist total sauer und fängt an, Dinge zu sagen wie “ihr seid so, und ihr seid so”.

F: Du meinst, sie sieht in Dir die ganze Gruppe?

L: Ja, so hat sie mit mir gesprochen. Aber sie hat noch nie so mit mir geredet, wenn ich zu ihr gegangen bin, um sie um etwas zu bitten. Aber was diesen Tag angeht… nur ich kann wissen, was ich da in mir gefühlt habe…

In diesem Moment war ich total fertig, ich stand da und dachte, was macht sie mit mir, warum ist sie so zu mir, und dann ließ sie mich da einfach stehen und ging weg. Später an diesem Tag, als ich in meinem Zimmer war und ich dieses Papier mit dem Hausverbot bekam und alle kamen, um zu sehen, was los ist, kam sie auch. Also sagte ich, warum kommst Du jetzt, ich bin immer noch in der gleichen Situation und nach all dem wie Du heute Morgen mit mir gesprochen hast. Und da sagte sie, es tut mir sehr leid, aber vorhin war ich sehr wütend auf Euch, wegen alledem was ihr da tut, diese Demonstration, ohne vorher Bescheid zu sagen. Ihr macht diese Demonstration, und ihr denkt, die Leute draußen können euch helfen, aber die Leute draußen können euch nicht helfen. Wir sind die Leute, die euch helfen können.

Und ich sagte: Aber wie kannst du sagen, dass ihr mir helft, aber gleichzeitig so mit mir reden? Und sie sagte, es tut ihr wirklich leid. Und ich sagte, aber als Du diese Dinge zu mir sagtest, da wusstest Du nicht, was dann auf mich zukommt. In dem Moment, in dem ich hier raus bin, hast Du nichts mehr mit mir zu tun. Du weißt ja gar nicht, wie die nächste Situation für mich sein wird. Jedes Problem, das als nächstes auftaucht, gibt es nur für mich allein, weil ihr Leute mir das jetzt antut. Für mich fühlt sich das wie Rassismus an, aber Du sagst mir, dass es Dir leid tut. Gleichzeitig beschuldigt Ihr mich für ein Problem, wovon ich nichts weiß, das ich nicht getan hab. All das fühlte sich in diesem Moment wirklich schrecklich an.

Und die anderen, die bei mir waren, sagten, aber immer, wenn es ein Problem gibt, fragen sie uns nie, ob wir uns darüber Klarheit verschaffen können. Man nimmt nur das, was die anderen Leute einem erzählen. Eine Schwarze Person, einer der Securities, war auch bei uns in diesem Moment und sagte: Ich weiß ja, wie ihr hier lebt, weil ich sehe, wie diese Leute sich euch gegenüber verhalten. Ich habe das mehrfach mitbekommen, zum Beispiel im Speisesaal. Die Art, wie sie euch das Essen geben, wie sie mit euch reden, wie sie sich euch gegenüber verhalten. Es hat euch sogar wütend gemacht, aber für mich… ich bin bei den Securities, ich kann dort nichts tun, ich arbeite in einem anderen Bereich, ich kann dort nichts tun.

Diese Situation, in der sie mir etwas vorwerfen, von dem ich nichts weiß, hat mich sehr, sehr traurig gemacht. Und selbst die Securities, nicht einer, nicht zwei, sondern drei oder mehr, sagen mir offen vor den anderen Leuten, sie sagen, dieser Junge ist doch wirklich sehr ruhig, er macht nie irgendwelche Probleme. Er hat mir in diesem Moment wirklich sein Mitgefühl gezeigt. Und sie geben mir sogar Ratschläge, sie sagen, wenn die Polizei kommt, rede nicht mit ihnen, sondern tue einfach, was sie sagen. Und sogar einer der Securities spricht mit einem Polizisten, als sie an meiner Tür sprachen, während ich drinnen meine Sachen packte, und sagt, dieser Junge ist ein guter Junge, vielleicht liegt da ein Fehler vor. Und sie ließen mich sogar alle meine Sachen einpacken. Dann sagt die Polizei, ich müsse gehen, und ich gehe.