Offener Brief an den Bremer Rat für Integration

Zum Hintergrund

Am Dienstag, 23. April 2019, organisierte der Bremer Rat für Integration (BRI) am Bremer Theater eine öffentliche Veranstaltung unter dem Titel „Resonanz der Kulturen“. Zu dieser Veranstaltung waren Politiker*innen der großen Parteien eingeladen, um unter anderem über Integration und Teilhabe zu diskutieren. Bei der Veranstaltung war Together we are Bremen (TWAB) mit ca. 50 Personen anwesend, um durch Beiträge und Fragen Erklärungen von den Politiker*innen einzufordern zur offensichtlichen Diskrepanz ihrer Position, Integration zu predigen, aber tatsächlich Ausgrenzung und Isolation zu praktizieren. Kurz nach Beginn der Veranstaltung nahmen sich Mitglieder von TWAB den Raum, um dies auszudrücken. Wir entfalteten ein Banner, das ebenfalls diese Botschaft trug. Nach ein paar Wortwechseln ging die Veranstaltung weiter wie geplant und die Politiker*innen äußerten sich zu den verschiedenen Themen. Am Ende tauschte der damals noch amtierende Bürgermeister, Herr Sieling, Kontaktdaten mit uns aus und versprach, sich mit uns zu treffen, um weiter über unsere Anliegen zu sprechen.

Auf den Punkt gebracht: Keine Diskussion über uns ohne uns

Wir haben uns als Bündnis entschlossen, bei dieser Podiumsdiskussion mit Spitzenkandidat*innen bzw. Fachpolitiker*innen der Parteien eine Intervention durchzuführen, weil das Thema „Integration“ in unserer Überzeugung nicht für Sonntagsreden instrumentalisiert oder ohne diejenigen, die systematisch ausgegrenzt werden und somit vom Thema direkt betroffen sind, diskutiert werden soll. Den vermeintlichen Integrationsbemühungen und leeren Bekenntnissen als „safe harbor“ für Überlebende des Mittelmeers durch die Politik stehen die praktischen und offensichtlichen Ausgrenzungs- und Segregationspraktiken gegenüber, die viele Mitglieder unseres Bündnisses erleben, wenn sie in Unterkünften wie der Lindenstraße leben müssen, wo sie vom Security-Personal bedroht und sogar körperlich angegriffen wurden, aus Bremen „umverteilt“ oder abgeschoben werden und wenn ihnen sogar als Jugendliche Schulplätze verwehrt werden. Diese Perspektiven haben wir in der Aufstellung des Podiums und der Formulierung der Themen, u. a. „Schule“, „Arbeit“, „Ankommen“ nicht vertreten gesehen, bzw sind sie nicht für diese Gruppe von Personen gedacht.

Deshalb haben wir in diese Debatte eingegriffen und für uns war klar: Wir wollen Antworten auf die Fragen, die für Betroffene von vermeintlicher „Integrationspolitik“ drängend sind, wir wollten deutlich machen, welche Konsequenzen diese Politik auf die Lebensrealitäten vieler Menschen haben, insbesondere derjenigen jungen Menschen, die das Grauen der Sahara und des Mittelmeers überlebt haben und jetzt hier in Bremen leben, aber weiterhin ausgegrenzt werden.

Bei der Veranstaltung

Unsere Intervention hat zunächst für einige Verwirrung gesorgt, offensichtlich machte bereits unsere unerwartete Anwesenheit die Politiker*innen und die BRI Moderator*innen nervös. Nach einigen Minuten konnte die Veranstaltung trotzdem wie vom BRI geplant weiterlaufen. Wir haben uns in die Debatte weiterhin mit Fragen und Redebeiträgen eingebracht, aber den Verlauf der Veranstaltung nicht nachhaltig gestört – was wir hätten tun können. Abgesehen von einer Politiker*in konnte keine*r der Politiker*innen unsere Fragen ernsthaft beantworten, da ihnen grundlegende Kenntnisse unserer Situation fehlten. Uns zeigt dies, wie wenig der Fokus von Integrationspolitik tatsächlich auf den Lebensrealitäten Betroffener liegt – und machte einmal mehr deutlich wie notwendig die Intervention war. Die Moderator*innen (beide vom BRI) reagierten auf unsere Intervention sehr unwirsch und forderten zunächst, dass wir doch bitte zu einer „zivilisierten Diskussion“ zurückkehren mögen. Unsere Nachfragen wurden nur zögerlich zugelassen und die Forderung an die vertretenen Politiker*innen nach politischen Entscheidungen zur Ausstellung von Duldungen bzw. zur Rücknahme von Transfers wurden abgebügelt mit der genervten Antwort, dass die Situation doch schon geprüft werde – „für Einzelfälle“. Uns enttäuschte, wie sehr die Moderator*innen des BRI unsere Anwesenheit und unsere Beiträge auf dieser Veranstaltung blockierten, auch indem sie versuchten, die an die Politiker*innen gerichteten Fragen selbst zu beantworten. Hier zeigte sich, was sich schon in der Einladung angekündigt hatte. Diese war ausschließlich auf Deutsch formuliert, abstrakt gehalten und so auch für Personen mit grundlegenden Deutschkenntnissen im Grunde unverständlich. Übersetzungsmöglichkeiten bei der Veranstaltung wurden nicht angeboten, weshalb wir innerhalb unserer Bündnisstruktur diese selber organisieren mussten.

Was seither geschah

Seit unser Intervention bei der Veranstaltung konnten wir wahrnehmen, dass der Bremer Rat für Integration uns gegenüber feindselig eingestellt ist und sogar eine subtile Kampagne gegen TWAB betreibt. Wir wurden wiederholt darauf hingewiesen, und konnten es selbst sehen, dass der Bremer Rat für Integration versucht uns zu behindern, zum Beispiel bei unseren Spendenaufrufen und der Suche nach Schlafplätzen für diejenigen der Aktiven bei TWAB, denen die Möglichkeit in Bremen zu bleiben endgültig verwehrt wurde und die somit vom Bündnis abhängen.

Wir finden es absolut unverständlich, dass sich gerade der „Rat für Integration“, der sich als Vertretung von Migrant*innen in Bremen darstellt und dessen Auftrag offensichtlich mit einschließen muss, Geflüchtete zu repräsentieren, die Teilnahme dieser marginalisierten Gruppe nicht begrüßt und unterstützt. Gerade von einem „Rat für Integration“ muss eine solche Podiumsdiskussion NICHT als Anlass für schöne Fotos, sondern als Möglichkeit für Migrant*innen und Geflüchtete verstanden werden, Fragen an Politiker*innen zu stellen, sie für ihr Handeln und ihre Politik zur Verantwortung zu ziehen und die Konsequenzen ihrer Politik offenzulegen.

„You preach integration but practise exclusion, segregation & deportation“ – jener Vorwurf, den wir auch mit einem Banner in diese Podiumsveranstaltung getragen haben – wird zynisch zugespitzt bestätigt, wenn ausgerechnet ein „Rat für Integration“ Aussagen tätigt wie jene, dass Mitglieder von TWAB, die darum kämpfen, hierbleiben zu können, doch den ihnen auferlegten Transfers folgen und Bremen verlassen sollen – mit anderen Worten: Verpisst euch, ihr gehört nicht hierher!

Zuletzt wurden gar mit uns solidarische Mitglieder jenes Rates durch dessen Vorsitzende Libuše Černá (Trägerin des Verdienstkreuzes am Bande für Integration) aufgefordert, sich von TWAB zu distanzieren – mit genau der Begründung, dass die in TWAB organisierten geflüchteten Aktivist*innen ihre Transfers doch akzeptieren sollten und dann woanders zur Schule gehen und ihre Leben aufbauen könnten. Auch bei anderen Organisationen scheint der BRI zu streuen, dass TWAB nicht zu unterstützen sei. Diese Feindseligkeit und Entsolidarisierung des Rates hat dadurch auch ganz praktische Konsequenzen für TWAB.

Ignorant jedoch eine Funktion erfüllend

Die Äußerungen des BRI zeugen von Anmaßung und Ignoranz. Den Transfers zu folgen heißt mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit, anschließend nach Italien in die Obdachlosigkeit abgeschoben zu werden und in riskanten Umgebungen zu landen. Es heißt, das vertraute soziale Umfeld in Bremen zu verlieren und es heißt, vom Recht, seinen Wohnort aussuchen zu können, ausgeschlossen zu werden. Aus dem Gebaren des BRI wird deutlich, dass er der Überzeugung ist, dass TWAB nicht zu Bremen gehört und die in der Gruppe organisierten geflüchteten Aktivist*innen kein Recht haben, Akzeptanz in dieser Stadt einzufordern. Damit stellt sich der „Rat für Integration“ eindeutig auf die Seite von Ausgrenzung und Abschiebungen und legitimiert – gerade unter dem Schein der Vertretung von Migrant*innen – die staatliche Praxis, die den in der Gruppe organisierten geflüchteten Personen grundlegende Menschenrechte verwehrt. Damit hat der BRI sein wahres Gesicht gezeigt und vor allem, wo seine Loyalität liegt. Indem sie darauf beharren, dass die Geflüchteten in TWAB Bremen verlassen sollten betreiben sie einen eilfertigen Gehorsam denn defakto sind einige genau dieser Menschen heute legal hier.

Unsere Erwartung und wie es nun weitergeht

Von einem „Rat für Integration“, der für sich in Anspruch nimmt, Migrant*innen und Geflüchtete zu vertreten, erwarten wir, dass er dies auch solidarisch tut und explizit mehr als andere Gruppen darauf achtet, auf die Stimmen derjenigen zu hören, die besonders von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind. Wir erwarten, dass er sich klar positioniert gegen Ausgrenzungen, Isolation, erzwungenen Transfers und Abschiebungen. Wir erwarten, dass solch ein Rat eine kritische Intervention begrüßt, unterstützt und wenn notwendig als Anstoß für interne Reflexionsprozesse nimmt. Es ist eine tragische Farce, dass eine Institution wir der BRI für sich in Anspruch nehmen kann, ein „Rat für Integration“ zu sein, wenn dieser einer selbstorganisierten Gruppen wie TWAB derart in den Rücken fällt. Und damit wird eine Institution, die eigentlich eine geringe bis gar keine Relevanz hat, zum Problem für migrantische Gruppen, die um ihre Existenz hier in Bremen fürchten müssen.

Wir fordern alle am Bremer Rat für Integration beteiligten Personen und Organisationen auf, sich damit auseinanderzusetzen, in welcher Form sie zur Legitimierung und Stabilisierung von Ausgrenzung, Isolation und Abschiebungen beitragen, statt den geringen Einfluss, den sie haben, kritisch und für zielgerichtete Interventionen zu nutzen, um solidarisch von Rassismus und Ausgrenzung betroffene Gruppen und Einzelpersonen zu unterstützen!

Für uns ist klar: Together we are Bremen ist ein Teil von Bremen und wir begrüßen alle, die sich unserem Kampf für Akzeptanz in dieser Stadt anschließen bzw. ihn unterstützen. Den politischen und gesellschaftlichen Strukturen, die uns ausgrenzen, begegnen wir mit Widerstand. Der BRI ist nicht die erste Institution, die sich uns in den Weg stellt – und wird nicht die letzte sein. Aber eine Sache steht fest: Wir sind hier und wir sind hier, um zu bleiben. Wir werden hier bleiben, mit Würde. Und wenn dies heißt, dass der BRI unser Gegner ist, anstatt unser Verbündeter zu sein, dann sei es so! Wir haben keinerlei Sympathien für Gruppen oder Personen, die Strukturen stützen, legitimieren oder in sonst einer Weise verteidigen, die uns unsere grundlegenden Menschenrechte verwehren. Diejenigen, die uns wie der „Rat für Integration“ derart in den Rücken fallen, sollten erwarten, dass wir sie weiter öffentlich benennen und sie immer und überall damit konfrontieren und uns gegen ihre Angriffe verteidigen.

Im Moment gibt es ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsdefizit beim BRI. Deshalb fordern wir hiermit alle Mitglieder auf, die politische Ausrichtung des „Rates für Integration“ deutlich zu verschieben und welchen Einfluss auch immer sie haben im Sinne von Kämpfen gegen Rassismus und Ausgrenzung zu nutzen. Falls dies in den gegebenen Strukturen nicht möglich ist, fordern wir die Mitglieder des Rates, wie auch alle anderen Bremer*innen und solidarischen Menschen, dazu auf, sich von dieser Institution zu distanzieren.

Schließt euch unseren Kämpfen an, unterstützt sie und macht ihre Sichtbarkeit größer!

Unsere Forderungen sind und bleiben politisch realistisch: Dauerhaftes Bleiberecht für alle. Weg mit den Transfers (“Umverteilungen”). Wohnungen statt Sammellager. Gute medizinische Versorgung. Bildung für Alle. Schluss mit rassistischer Gewalt. Keine Abschiebungen mehr. Aus Bremen einen tatsächlich sicheren Hafen machen!

Together We Are Bremen, August 2019